Nachrichten aus dem Dunkel
Die Ursprünge der Fotografie und ihre Funktionsweise sind von Geheimnis und Wundersamkeit, ja vom Hauch des Göttlichen umgeben: so sei „die Sonne selbst zur Künstlerin geworden sei: sie schreibe und zeichne mit dem Licht Bilder, die vollkommener sind, als es die Menschenhand vermöchte“. Ihrem aus dem Griechischen stammenden Wortsinn nach ist die Photographie Licht-Schrift, eine „Kunst, in der das Licht seine eigene Metapher hervorbrächte“. Und obwohl es vordergründig den Anschein hat, als erzeugten sich die Lichtbilder wie von selbst, unterstehen sie der „Herrschaft des Photographen, der seinerseits über das Licht bestimmt, ihm gebietet und sich die Sonne untertan macht“.
Dabei ist die technologische und ästhetische Kehrseite der künstlerischen Beherrschung des Lichts die Dunkelheit, in der das vom Licht geschriebene Bild entstehen muss: der Begriff der Camera Obscura bezeichnet wörtlich sowohl den Kasten, in dem das Motiv zunächst verkehrt herum auf einen Bildträger trifft, aber auch die dunkle Kammer, in der (in den Anfangszeiten der analogen Fotografie) die chymische Hochzeit der Elemente unter Ausdünstung übler Gerüche die Bannung solchen Bildes bewerkstelligt.
Und obwohl diese Vorgänge naturwissenschaftlich zu erklären sind, haftet ihnen etwas Magisches an: „Es bleibt ein Geheimnis zurück“ meint auch der Berliner Fotograf Alexander Gehring.
Die Dunkelkammer erlebt er als Ort der Wandlung – vom Nichtbild zum Bild, von der Lichteinwirkung über die Dunkelheit zur Lichtspur auf Papier. In ihrer Farbatmosphäre erinnert ihn das Labor an die schwüle und schwülstige Beleuchtung von Séance-Räumen mit einer „rot und schwarz verhüllten Deckenlampe“, wie z.B. Thomas Mann sie beschrieb. Der Autor hatte sich zur Therapie seiner Homosexualität in das Institut des Münchener Mediziners Albert von Schrenck-Notzing begeben. Dieser Arzt trachtete Abgründe und Verirrungen der Seele u.a. mit Hypnose zu mildern, und er veranstaltete spiritistische Sitzungen, deren unverkennbarer „sexueller Einschlag“ ihrem berühmten Teilnehmer (Mann) nicht entgingen und die ihn offenbar nicht nur deswegen nachhaltig faszinierten.
Die Versuche allerdings, die „Echtheit“ der okkulten Phänomene zu beweisen, scheiterten fürchterlich: Albert von Schrenck-Notzing bemühte ausgerechnet die Fotografie, jene scheinbar unbestechliche Wiedergeberin von Wirklichkeit, als Zeugin – so sind es vor allem die Abbildungen weißlicher Absonderungen und Ausstülpungen in seinem 1914 erschienenen Buch Materialisationsphänomene, die eine aufgeklärte Betrachterschaft peinlich anrühren. Als unfreiwillig komisch erweisen sich etwa aus Mündern quellende Tüllgardinen oder ins Bild gehaltene Pappattrappen, so dass hohe Erwartungen an die Wahrhaftigkeit der Aufnahmen ins Nichts umschlagen.
Von derartigem Erheiterungspotential unerschüttert erkennt Alexander Gehring zum einen in der „Materialisation“ einen Vorgang, der dem Zustandekommen des Bildes gleicht: gerade das fotografische Porträt fasste man in den Anfängen dieser Technologie als eine Art direkten Abdruck, als gleichsam durch eine Art Häutung entstandene Spur oder sonstwie evidente Entsprechung des Abgebildeten auf. Zum anderen fallen im Begriff des Mediums Fotografie und Okkultismus ineins: Als Medium bezeichnet man nicht nur den bildgebenden Apparat, die Kamera (die als Camera Obscura sowohl Gerät als auch Raum ist), man nennt die Vielfalt der bildnerischen Produkte schlichtweg „Medien“, und drittens wird bei einer Séance die Person als Medium angesprochen, die sich als Mittlerin zwischen den geistigen Sphären betätigt. Medien in letzterem Wortsinn zeigt Alexander Gehring auf seinen rotleuchtenden Bildnissen: wir sehen sie hinter opaken Scheiben dämmern, wir sehen sie „in Trance“ und theatralisch verschleiert. Und wir sehen, insofern wir die Bilder betrachten, immer auch einen Widerschein des Mediums, das diese Bilder hervorbrachte: die Kanalfunktion des fotografischen Apparats, durch dessen dunkles Gehäuse sich der Abdruck der Wirklichkeit zwängt, um sich im Rotlicht der dunklen Kammer zu einer Bildgestalt zu formieren. Und wer weiß – warum sollte nicht das belichtete Fotobild als eine dem Körper des Mediums entströmte Materie betrachtet werden können? So ungefähr könnte man auch im weitesten Sinne das Phänomen der Ideoplastie umschreiben.
Überdies erscheinen bei Gehring die architektonischen Versatzstücke des Fotolabors und des Veranstaltungsorts für spiritistische Sitzungen als gleichgestaltig: hier wie dort kabinettartige Gelasse und Verdunkelungselemente, hier wie dort die Verwendung von Vorhängen, Schablonen und Leuchtinstrumenten bei identischer Farbgebung. Das Hervortreten von Emanationen an den Körpern der menschlichen Medien spiegelt das Hervortreten des Bildes im fotografischen Prozess. Nicht zuletzt wird der Fotograf selbst zum Medium, das dem Licht zu seiner bildgebenden Wirkung verhilft.
Die Inspiration durch Schrenck-Notzings Bildband Materialisationsphänomene verdichtet sich bei Alexander Gehring zu einer optischen Synchronisation von photographischen und magischen Prozessen, und so wirken seine Inszenierungen zugleich „wissenschaftlich“ und auf eine Weise skurril, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Denn Gehring beobachtet in seiner Gegenwart, (wie vor knapp 100 Jahren Thomas Mann), dass „exakte Naturwissenschaft selbst an einem Punkte [hält], wo ihre Begegnung mit der Metaphysik unvermeidlich wird!“
Anna Zika, 2012